Wirtschaft startete einzigartiges Netzwerk Industrie 4.0

Industrie 4.0 – Berichte, Expertisen und Vorträge darüber gibt es zuhauf. Aber wie ist der tatsächliche Stand in Unternehmen aus Bocholt und Umgebung? Welche Prozesse haben sie schon digitalisiert, welche Möglichkeiten aber noch gar nicht erkannt oder welche passenden Partner noch gar nicht getroffen?

Am Donnerstag startete in Bocholt das einzigartige Netzwerk „Von der Vision in die Praxis“. Fünf Partner brachten dabei 60 Unternehmer in der Westfälischen Hochschule zusammen; „sie sind nach dieser Auftaktveranstaltung vielleicht nicht klüger, aber auf jeden Fall inspirierter und vernetzter. An diesem Punkt geht es jetzt weiter“, sagte Jürgen Paschold, Verbandsingenieur beim Unternehmerverband. Der Arbeitgeberverband, die Wirtschaftsförderung Bocholt und die Westfälische Hochschule haben das Netzwerk initiiert und organisiert, unterstützt wird es von der Fördergesellschaft der Hochschule sowie von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken.

„Die digitale Vernetzung bisher analoger Maschinen und Anlagen ist von keinem Unternehmen und keiner Branche alleine zu bewältigen. Nur die betriebliche Ebene oder die industrielle Basis zu betrachten, reicht nicht; zugleich muss es einen datenbasierten Ansatz geben“, stellte Wirtschaftsförderer Ludger Dieckhues fest. Genau aus diesem Grund hatten die Organisatoren ein Publikum zur Auftaktveranstaltung eingeladen, das sich wie das Who’s Who der hiesigen Wirtschaft las: Werksleiter von größeren Produktionsbetrieben, Inhaber und Geschäftsführer aus dem Maschinenbau, Spezialisten aus Automatisierung, Elektronik, Informationstechnologie Konstruktion und Produktentwicklung sowie Wissenschaftler der Westfälischen Hochschule (WHS).

Nach einem Impulsreferat – Matthias Schmich, strategischer Direktor bei Siemens Industry Software, sprach über „Lösungen für die Produktentstehung: Digitalisierung des Mittelstandes“ – stellten drei Professoren der WH ihre Kompetenzfelder Robotik, Informationsverarbeitung, Maschinenbau und Mechatronik vor. Unternehmen könnten profitieren – angefangen bei Kooperationen Wirtschaft-Wissenschaft und (öffentlich geförderten) Projekten über die Entwicklung unternehmensbezogener Prozesszellen bis hin zur Ingenieursausbildung und firmenspezifischen Bachelor-Arbeiten.

Um den Engpass „abwartender Chef“ aufzulösen, appellierte Prof. Dr. Gerhard Juen, Dekan Wirtschaft und Informationstechnik, an die Zuhörer: „Öffnen Sie Ihren Blick, denken Sie quer, drehen Sie verrückte Ideen so lange, bis sie zu Ihrem Betrieb passen.“ Als Einstiegspunkt sollte man sich nicht die große, ganzheitlich digitalisierte Steuerung vornehmen, sondern einzelne Bausteine: Smarte Tools wie ein Akkuschrauber, der sein Drehmoment anpasst, weil er weiß, an welchem Bauteil er gerade arbeitet. Smarte Werker, die mit einer Datenbrille auf der Nase die Handlungsanweisung für die jeweilige Maschine lesen können. Oder smarte Daten, die nicht nur gesammelt, sondern auch ausgewertet werden, um daraus zu lernen.

Dann ging es ans Arbeiten beim „World Café“: In moderierten Workshops wurden hier Ergebnisse in vier Gruppen erarbeitet. Der Clou: Die Gruppen wechselten die Tische und damit die Themen, sodass Ergebnisse und Ideen sukzessive wuchsen. Schnell kamen die Unternehmer so ins Gespräch über Chancen und Probleme im eigenen Betrieb sowie über Innovationen und Kooperationen. Die vier Moderatoren sahen sich am Ende der Workshops unzähligen Metaplanwänden gegenüber, die von oben bis unten, mal in Wolken, mal unter Stichworten sortiert mit bunten Karten übersät waren. „Wir werden die meist diskutierten Themen jetzt im Nachgang für Sie aufbereiten. Ob am Ende weitere World Café Veranstaltungen, Arbeitskreise oder Firmenbesuche dabei herauskommen, werden wir sehen. Wir bleiben dran“, versprach Ludger Dieckhues abschließend.

Nicht nur das Ziel, gemeinsam die digitale Transformation zu erarbeiten, sondern auch den Weg dorthin haben Wirtschaft und Hochschule mit dem begonnenen Netzwerk fest im Blick. „Neue Produkte, Geschäftsmodelle, Kooperationen und Arbeitsplätze müssen jetzt konkret weiterentwickelt werden“, resümierte Jürgen Paschold vom Unternehmerverband. Zwar beginne Industrie 4.0 nicht auf Knopfdruck, der alles Bisherige auf Null setze und alles sofort verändere, „aber wir müssen mit dem Wandel Schritt halten. Und wir müssen den Menschen Mut machen, damit sie Veränderungen in Wirtschaft und Arbeitswelt nicht als Bedrohung, sondern als Chance begreifen.“